
OLG Hamm
Erhöhte Betriebsgefahr einer Straßenbahn kann vollständig hinter dem schuldhaften Verhalten des PKW-Führers zurücktreten.
(Urteil vom 22.11.2004, Az.: 13 U 131/04)
Dem vom OLG Hamm entschiedenen Fall lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem eine Abwägung zwischen der Betriebsgefahr einer Straßenbahn und der Betriebsgefahr eines PKW vorzunehmen war.
Die Fahrbahn war sowohl für den Schienen- als auch für den PKW-Verkehr zu nutzen. Der Kläger fuhr, um abzubiegen, mit seinem PKW in den Gleisbereich ein. Es kam zum Auffahren der nachfolgenden Bahn.
Streitig und unaufklärbar blieb, ob die Straßenbahn zu schnell gefahren ist oder der Straßenbahnführer zu spät gebremst hat. Das OLG Hamm weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich der Straßenbahnführer darauf verlassen könne, dass andere Verkehrsteilnehmer auf seinen Vorrang gemäß § 2 Abs. 3, § 9 Abs. 3 StVO Rücksicht nähmen.
Erst in dem Moment, in dem sich die Gefahr einer Kollision aufdränge und eine rechtzeitige Räumung des Gleisbereichs unwahrscheinlich sei oder sich die Straßenbahn sonst einer unklaren Verkehrslage nähere, entfalle die Berechtigung des Straßenbahnführers, auf seinen Vorrang zu vertrauen. Er sei dann gegebenenfalls auch zu einer Schnellbremsung verpflichtet. Solche Umstände ließen sich in dem Fall, den das OLG Hamm zu entscheiden hatte, aber nicht feststellen. Da ein Verschulden somit nicht feststünde, hafte der Straßenbahnführer nicht.
Die Haftung der Straßenbahngesellschaft (Beklagte zu 2) ergäbe sich demgegenüber aus § 1 Abs. 1 HaftpflG, da der Entlastungsbeweis gemäß § 1 Abs. 2 HaftpflG (höhere Gewalt) nicht geführt worden sei. Die Entscheidung des Rechtsstreits hing also von der Abwägung der Verursachungsbeiträge Straßenbahn/Kraftfahrzeug ab (§ 4 HaftpflG, § 17 StVG).
Dabei ist wegen der Schienengebundenheit und des längeren Bremsweges die Betriebsgefahr einer Straßenbahn grundsätzlich erhöht. Gleichwohl ist hier die Betriebsgefahr des PKW des Klägers erheblich höher. Der Kläger durfte schon nicht vor der sichtbar heranfahrenden Straßenbahn auf die linke Fahrspur wechseln, zumal mit einem Rückstau vor der roten Ampel und damit dem Blockieren des Gleisbereichs zu rechnen war. Damit war dem Kläger ein Verstoß gegen § 2 Abs. 3 StVO vorzuwerfen.
Da zudem nach § 5 Abs. 4 StVO eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen werden muss, gewichtete das OLG Hamm das Verschulden des PKW-Führers so schwer, dass dahinter selbst die von vornherein erhöhte Betriebsgefahr der Straßenbahn völlig in den Hintergrund trat.
Interessant ist die Entscheidung deshalb, weil sie zu einer einseitigen Abwägung zu Lasten des PKW kommt. Regelmäßig werden trotz des Vorrangs der Straßenbahn aufgrund der erhöhten Betriebsgefahr Haftungsquoten gebildet. Hierbei handelt es sich aber nur um Anhaltspunkte. Stets sind die Besonderheiten des Einzelfalls vorrangig zu berücksichtigen.
Da das Verschulden des PKW-Führers hier in mehrfacher Hinsicht erheblich war und dem Straßenbahnführer demgegenüber kein Fehlverhalten nachgewiesen werden konnte, scheint die vom OLG Hamm vorgenommene Verteilung im Ergebnis vertretbar.
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